„Wenn die Heuschrecken in deinen Wohnraum reinkommen, dann hast du ein Problem“, sagt Markus Siller. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Ebensee im Salzkammergut in Oberösterreich. Die Heuschrecken, das sind die Tourist*innen, die den Ort am Traunsee vor allem in diesem Corona-Sommer überrennen.
Hauptsächlich zieht es die Besucher*innen, die nach Ebensee fahren, an schönen Tagen in den kleinen Ortsteil Rindbach. Sie wollen Kitesurfen, baden oder wandern. Und am kostenlosen Badesee entspannen, Fußballspielen, Volleybälle pritschen. Das Problem, das sich die Gemeinde Ebensee auch mit anderen touristischen Hotspots teilt: Overtourism, ein Zuviel an Besucher*innen. Eigentlich kennt man das Phänomen von Städten wie Venedig oder Barcelona, inzwischen sind auch kleine Orte in den Bergen betroffen, wie die Karte zeigt.
Allein in die Region Salzkammergut, in der Ebensee liegt, strömen jedes Jahr 807 000 Besucher*innen. 2011 waren es noch unter 500 000. „Unser Problem sind hier neben fehlenden Toiletten und überquellenden Mistkübeln vor allem die Autos“, sagt Bürgermeister Siller. „An schönen Tagen parken die, wenn der Parkplatz voll ist, in dem Wohngebiet alles zu. Egal ob Rettungszufahrten, andere Autos oder private Einfahrten.” Jetzt wird nach Lösungen gesucht.
„Die Leute würden am liebsten mit dem Auto in den See fahren“
Johann Arbeithuber aus Rindbach
Das 40 Kilometer entfernte Hallstatt hat ähnliche Probleme. 2018 machten dort etwa 20 000 Reisebusse Halt. Seit Mai dieses Jahres dürfen Reisebusse nur zu festen Zeiten zwischen 8 und 17 Uhr parken. Außerdem muss der Aufenthalt mindestens zweieinhalb Stunden dauern. So soll verhindert werden, dass zu viele Reisegruppen anreisen und zu kurz im Ort verweilen. Denn die Statistiken für das Salzkammergut zeigen, dass sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den vergangenen zehn Jahren um 18 Prozent gesenkt hat. Und je kürzer der Besuch, desto weniger Geld geben die Tourist*innen aus. Mittlerweile ist Wildcamping eine beliebte Urlaubsform. Sehr zum Nachteil von Naturschutzgebieten, wie dem Schrecksee in den Allgäuer Hochalpen, die unter Lärm und zurückgelassenem Müll leiden. Seit Jahren patroulliert dort vermehrt die Alpinpolizei und verhängt Bußgelder.
Geht’s nur mit Verboten?
Währenddessen versucht man sich in Ebensee mit Verbotsschildern weiterzuhelfen: Campen, Hunde, Surfen, an den Zaun lehnen – alles verboten. „Die Leute würden am liebsten mit dem Auto in den See fahren”, sagt Anwohner und Pensionär Johann Arbeithuber. Bei ihm heißt Tourismus noch „Fremdenverkehr“.
Seit vier Jahren verteilt er mit Erlaubnis der Gemeinde Strafzettel an Falschparker*innen in seinem Wohnviertel Rindbach. Ob Strafe hilft? Bürgermeister Siller sagt: „Wenn man zwei Stunden hierhergefahren ist, um baden zu gehen und hinten im Auto noch quengelnde Kinder sitzen, dann wird man, wenn man keinen Parkplatz findet, nicht einfach wieder nach Hause fahren.”
Zum Umkehren gezwungen werden die Besucher*innen vor dem Attersee-Klettersteig auf dem Berg Mahdlgupf. Nachdem sich zu viele Kletter*innen überschätzten, im Steig festhingen und für Stau am Berg sorgten, wurde der Einstieg Ende Juli dieses Jahres deutlich erschwert. Nun können nur noch Fortgeschrittene den Einstieg in die Route schaffen.
Geheim und überlaufen
Ebensee und die anderen Hotspots sind längst kein Geheimtipp mehr. Auf Instagram gibt es zum Hashtag #ebensee knapp 21 000 Beiträge. Urlaubsbilder auf Sozialen Netzwerken und Einträge auf Reiseblogs tragen dazu bei, dass Orte unerwartet zu touristischen Hotspots werden können.
Der Hashtag #königssee mit 197 000 Beiträgen zeigt, welche Ausmaße das annehmen kann. Influencer*innen teilten Fotos von sich in einer Gumpe, einem Wasserloch in schwindelerregender Höhe über dem Königsee im Nationalpark Berchtesgaden. Sie fanden zahlreiche Nachahmer*innen.
Kein ungefährliches Fotomotiv, zwei Menschen kamen bisher beim Baden ums Leben. Nun hat die Parkverwaltung die Gumpe gesperrt. Zum einen aus Sicherheitsgründen, zum anderen weil die Natur um die Gumpe herum zu sehr unter dem Ansturm litt.
Auch Ebensees Bürgermeister Siller geht davon aus, dass für seine Gemeinde längerfristig härtere Maßnahmen notwendig sind und man sich fragen muss: Wer darf rein? Das von einer Beratungsfirma eigens für Ebensee ausgearbeitete Verkehrskonzept sieht hauptsächlich die Auslagerung von Parkplätzen, erhöhte Gebühren und mehr öffentlichen Nahverkehr vor. Doch das verlagert das Problem letztendlich nur – es werden dadurch nicht weniger Besucher*innen.
Vielleicht helfen kreative Ideen. Eine Salzburger Firma arbeitet an Virtual Reality Brillen. Wer sie aufsetzt, kann dereinst Hotspots in Österreich besuchen, ohne das eigene Haus zu verlassen. Die Brillen sollen den Nutzer*innen so viel bieten, dass diese gar nicht mehr live vor Ort sein wollen. Für Museen mag das eine gute Lösung sein. Nur die Natur lässt sich durch eine Brille wohl kaum erleben.