Foto: Andreas Strobel

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Raumfrau gesucht

Noch nie war eine deutsche Frau im All.  Eine private Initiative will das ändern. Höchste Zeit, denn davon profitiert auch die Forschung.

Von Johannes Baumert und Andreas Strobel

Insa Thiele-Eich steht an der Garderobe, gibt ihre Jacke ab und dreht sich um. Sie ist auf einer Veranstaltung, es geht um Raumfahrt. Bevor sie zu ihrem Platz geht, wird sie aufgehalten. „Der Herr hinter mir hat mir seinen Mantel hingehalten, weil er dachte, ich bin eine Garderobenfrau“, erzählt sie.

Thiele-Eich ist 37 Jahre alt und promovierte Meteorologin. Sie forscht an der Bonner Universität. Und: Sie will als erste deutsche Frau ins All fliegen.

Situationen wie die an der Garderobe hat Thiele-Eich schon mehrere erlebt, sagt sie. Die europäische Raumfahrt ist männlich. Bei der Raumfahrtbehörde Esa lag der Frauenanteil zuletzt bei 29 Prozent, in Führungspositionen sogar nur bei zwölf. 16 Esa-Astronauten waren seit ihrem Start im Jahr 2000 auf der ISS, aber nur zwei Astronautinnen: die Französin Claudie Haigneré und Samantha Cristoforetti aus Italien.

Insa Thiele-Eich will als erste deutsche Frau ins All. Hier trainiert sie auf einem Parabelflug den Umgang mit der Schwerelosigkeit Foto: Markus M. Gloger/Space Affairs

Insa Thiele-Eich spricht schnell, sie hat viel zu erzählen, aber wenig Zeit. Fernsehdrehs, Fluglizenz und dazwischen: Druckkammer-Training und Raketenstart-Simulation.

Von 400 Frauen hat sie sich als eine von zweien bei der privaten Initiative „Die Astronautin“ durchgesetzt, die zum ersten Mal eine deutsche Frau in den Weltraum bringen soll. Wenn alles klappt, wird sie 2021 für zehn Tage zur ISS fliegen und dort forschen. „Da geht es ganz stark um die Vorbildfunktion: Je weniger Frauen ins All fliegen, desto weniger kommen nach.“

Ein Flugticket für 50 Millionen Euro

Wie Thiele-Eich hat auch Claudia Kessler Diskriminierung in der Raumfahrt erlebt. Seit sie vier Jahre alt war, will sie ins All. Damals, 1969, setzte zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuß auf den staubigen Boden des Mondes. Es war der amerikanische Astronaut Neil Armstrong.

Das Ereignis war für ihn nur ein kleiner Schritt. Aber ein großes Erlebnis für Claudia Kessler, erzählt sie. Später studierte sie Maschinenbau und arbeitete in der Raumfahrtindustrie. „Als ich zwanzig Jahre im Job war und immer noch die einzige Frau war, habe ich mir gedacht, dass man das selbst in die Hand nehmen muss.“ Von den großen Raumfahrtorganisationen wie der Esa sei kaum Hilfe zu erwarten. Also gründete Kessler 2016 „Die Astronautin“. „Von selbst ändert sich das anscheinend nicht.“ Jetzt braucht Kessler Geld. Rund 50 Millionen Euro soll Thiele-Eichs Flug ins All kosten. Kessler hofft, dass sich der Staat an dem Projekt beteiligen wird.

Beide sind schon seit ihrer Kindheit vom All begeistert: Claudia Kessler (re.) gründete die Initiative „Die Astronautin“, bei der sich Insa Thiele-Eich als eine von zwei Finalistinnen durchsetzte Foto: Manfred H. Vogel

Doch mehr als warme Worte gibt es von der Bundesregierung derzeit nicht. Thiele-Eich und die zweite All-Kandidatin Suzanna Randall seien Vorbilder, sagt eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums. Dort kümmert sich Ministerin Franziska Giffey (SPD) um die Gleichstellung von Frauen. „Fakt ist, dass bis dato keine einzige deutsche Frau im All war, obwohl es an qualifizierten Bewerberinnen nicht mangelt. Das muss sich ändern“, sagt die Sprecherin.

Das für Raumfahrt zuständige Wirtschaftsministerium betont den „privaten Charakter“ der Initiative. Das Projekt bekomme lediglich ideelle Unterstützung. Eine ressortübergreifende Finanzierung erscheine derzeit als nicht möglich, heißt es trocken aus dem Haus von Minister Peter Altmaier (CDU). Auch deshalb, weil Raumfahrt inzwischen europäisch und international sei. „Die derzeitige Esa-Astronautin Samantha Cristoforetti ist daher auch in Deutschland ein Vorbild für Frauen in der Raumfahrt“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Claudia Kessler sieht das anders. „Astronauten sind nationale Helden“, sagt sie. „Auch, wenn sie unter europäischer Flagge fliegen, bekommen sie die Anerkennung vor allem in ihrem Heimatland.“ Wie 21 andere Länder beteiligt sich Deutschland über die Esa an der ISS, die in 400 Kilometern Höhe um die Erde kreist. Zur Internationalen Raumstation steuert die Esa etwa das Forschungsmodul „Columbus“ bei.

Biologin Sonja Brungs im Nachbau des Weltraumlabors Columbus im Astronautenzentrum in Köln. Hier werden alle Astronaut*innen ausgebildet, die zur ISS fliegen Foto: Andreas Strobel

Astronautinnen für die Medizin

Darin schaut Sonja Brungs auf die Schalter und Bildschirme. Nur ist sie nicht im All, sondern  im Kölner Trainingscenter der Esa in einem Columbus-Nachbau. Die Gravitationsbiologin hat am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt promoviert und arbeitet inzwischen für die Esa. Mit ihren Kolleg*innen kümmert sie sich um die Weltraum-Missionen und hilft den Astronaut*innen auch auf der Erde: „Wenn sie dann von der Raumstation zurück auf die Erde kommen, sind wir diejenigen, die ihnen dann ihr Portemonnaie, ihren Reisepass und ihre Klamotten zum Wechseln überreichen.”

Sonja Brungs möchte momentan selbst nicht ins All, findet einen höheren Frauenanteil dort aber wichtig, schon allein aus wissenschaftlichen Gründen. Der Körper baut bei längerem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit Knochenmaterial ab. Damit lassen sich Erkenntnisse für die Osteoporose-Forschung gewinnen. „Und Osteoporose ist natürlich auch ein großes Thema bei älteren Frauen auf der Erde. Insofern macht es da sehr viel Sinn, auch Astronautinnen zu untersuchen“, sagt Brungs.

Fehlende Bewerberinnen

Aber die müssen sich erstmal bewerben. Beim letzten Esa-Verfahren 2008 kamen von 8413 Bewerbungen nur 16 Prozent von Frauen. Sechs Personen wurden am Ende aufgenommen, darunter nur eine Frau. Ein Grund: Vorausgesetzt wird ein Studium im medizinischen, naturwissenschaftlichen oder technischen Bereich. Und in Studienfächern dieser drei Bereiche liegt der Frauenanteil insgesamt ungefähr bei einem Drittel. Flugerfahrung als Pilot*in steigerte die Chancen in die engere Auswahl zu kommen. Auch hier sind Frauen unterrepräsentiert.

„Es dauert halt einfach alles“

Insa Thiele-Eich, Meteorologin und Finalistin von „Die Astronautin“

Voraussichtlich im kommenden Jahr wird das nächste Auswahlverfahren der Esa beginnen. Insa Thiele-Eich weiß noch nicht, ob sie sich auch dort bewerben wird. Ihren Platz bei „Die Astronautin“ hat sie ja schon sicher und glaubt daran, mit dem Projekt irgendwann ins All zu fliegen – selbst wenn das nötige Geld bis zum nächsten Jahr nicht zusammenkommen sollte. „Es dauert halt einfach alles.” Aber das sei in der Raumfahrt immer so.

Für sie war schon in der Schulzeit klar, dass sie im naturwissenschaftlichen Bereich arbeiten will. Und auch Bezug zur Raumfahrt hatte sie schon früh: Ihr Vater, Gerhard Thiele, ist Esa-Astronaut und war der zehnte Deutsche im All. Trotzdem hat Thiele-Eich weibliche Vorbilder gebraucht, um zu sehen, dass sie es auch als Frau schaffen kann: „Ich hatte das Glück, dass ich in den USA groß geworden bin, mit den Kolleginnen meines Vaters, die drei Kinder hatten und ins All geflogen sind.”